Eine Woche im Schweige­kloster

Seit 1977 wird im Kloster Dietfurt Zen Meditation gelehrt. Warum sich eine Woche Schweigen lohnt.

Von Nicola Groos

Timeout für die großen Fragen des Lebens

„Ein – aus: erster Atemzug. Ein – aus: zweiter Atemzug. Ich befinde mich beim „Einführungskurs in Zen“ im bayerischen Kloster Dietfurt und versuche den Anleitungen unseres Zen-Meisters Othmar Franthal, zu folgen. Das Zählen der Atemzüge ist eine Technik für Anfänger, um in die Versenkung zu kommen. Ein – aus: dritter Atemzug. Dabei die Gedanken kommen und gehen lassen wie vorbeiziehende Wolken. Nichts festhalten, nichts bewerten. Plötzlich fällt mir auf, dass die Stimme in meinem Kopf mit der österreichischen Dialektfärbung meines Zen-Meisters zählt.

Laut einer repräsentativen Umfrage im Complementary Medicine Research von 2019 meditieren ca. 15,7 Millionen Menschen in Deutschland oder sind zumindest „daran interessiert mit Meditation zu beginnen“. Dafür gibt es gute Gründe: Studien belegen positive Effekte von Meditation u. a. auf die Konzentration, Ausgeglichenheit und sogar, wie der Deutschlandfunk Anfang des Jahres berichtete, auf die Darmflora. Mein Motiv für meine Anmeldung im Kloster Dietfurt sind aber weniger gesundheitliche Aspekte, sondern der unerwartete Tod eines engen Freundes. Wie die meisten Menschen versinke ich im Strudel des Alltags, wird meine Zeit aufgefressen vom Job, Freunden, Familie und Freizeitaktivitäten. Für die großen Sinnfragen bleibt da kein Platz. Aber was ist wichtiger als sich die Frage nach dem Kern des eigenen Ichs zu stellen? Oder den Sinn der eigenen Existenz zu ergründen? Nichts.

Meditation ist nicht gleich Zazen

Am ersten Abend nach unserer Ankunft gibt es die erste Zusammenkunft im Gemeinschaftsraum, der mit seinen schlichten im Kreis aufgereihten grau bezogenen Holzstühlen den Charme der 70er Jahre verströmt. Hier lerne ich zum ersten Mal den hoch geschätzten Zen-Meister Othmar Franthal kennen. Seine Kurse sind immer mit langen Wartelisten überbucht, und ich habe großes Glück überhaupt einen Platz ergattert zu haben. Unser Zen-Meister erklärt uns mit seinem sympathisch österreichischen Dialekt die Grundlagen der Meditation und die Regeln während des Aufenthaltes.

 

Meditation ist nicht gleich Zazen

Zazen ist eine strenge Form der Meditation. Beim Zazen, (wörtlich: Sitzen in Versenkung) ist die Idee den Geist zu leeren und „zu sitzen wie ein Berg“. Sonst nichts. Idealerweise meditiert man daher im Lotussitz (Bergform). Wir dürfen aber sitzen, wie wir es schmerzfrei durchhalten. Dafür können wir uns aus den Schränken neben dem Meditationsraum aus Kissen, Stühlen und Decken das Passende aussuchen. Ich wähle ein Holzbänkchen, kaum höher als 20cm und nach vorne abgeschrägt, so dass ich in einer Art erhöhten Hocke sitzen kann.

 

 

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Weder sprechen  noch schauen

Weitere Regeln: Um die Konzentration auf sein Inneres zu fokussieren, muss ich auch außerhalb der Meditation die Augen gesenkt halten und keinerlei Blickkontakt zu anderen suchen. Aus demselben Grund wurde ich schon bei Anmeldung zum Kurs gebeten, nur dunkle, weite Kleidung mitzubringen. Auch beim Essen dürfen wir nicht sprechen. Wenn man etwas vom anderen Ende des Tisches wünscht, signalisiere ich es ohne Blickkontakt mit einer Verbeugung in Richtung des gewünschten Objekts.

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Vor dem Meditieren: Frühsport

 

Jeden Morgen werden wir um 6:30 Uhr von einem Gong geweckt. Ab jetzt bestimmt dieser Gong meinen Tagesablauf. Eine halbe Stunde später ruft er zur Morgengymnastik in den Meditationsbereich.

 

Das Zendo, der Meditationsraum

Sobald ich vom alten Kloster durch eine Glastür in den Anbau, also in den Meditationsbereich trete, komme ich gefühlt in eine andere Welt. Als hätte man einen Zendo direkt aus Japan importiert. Durch die deckenhohen Seitenfenster mit hellen Holzsprossen dringt von allen Seiten Licht ins Innere. Heller Kokosfaserteppich bedeckt den Boden. Es duftet angenehm nach einer Mischung aus Holz, Kokos und Kerzen. Im ersten Bereich des Traktes befindet sich der Lichthof mit Zen-Garten umrahmt durch ebenfalls deckenhohe Schiebetüren. Im zweiten Bereich befindet sich in der Mitte mit Holzwänden abgetrennt gleichsam als Raum im Raum: das eigentliche Zendo.

 

Frühsport zur Vorbereitung zum Sitzen

Für die Morgengymnastik gruppiert man sich an allen vier Seiten um den Zen-Garten. In seinem Zentrum steht ein knorriger rotblättriger Zierahorn, der sich elegant über einen bemoosten Findling ausstreckt. Durch die geöffneten Türen dringt die kalte Morgenluft des Frühlingstages herein. Unser Zen-Meister macht die Übungen vor, die nach japanischer Tradition den Körper vom Kopf bis zu den Füßen lockern sollen.

 

Erst danach erfolgt die erste Meditationseinheit von 20 Minuten. Vor jedem Betreten und Verlassen des Zendo Meditationsraums verbeuge ich mich mit vor der Brust gefalteten Händen. Wenn alle sich auf ihren Sitzen eingefunden haben, signalisiert unser Zen-Meister mit einem Schlag auf die Klangschale sich bereit zu machen. Ich setze mich auf meinem Hocker aufrecht, lege die Hände unterhalb des Bauchnabels ineinander und senke den Blick. Ein zweiter Schlag signalisiert den Beginn der Meditation. Ab jetzt verharre ich zwanzig Minuten in absoluter Bewegungslosigkeit.

 

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Interview mit Othmar Franthal, Zen-Meister

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 Krise, Zweifel, Rebellion

Erste Krise

Der zweite Tag. Ein-aus: erster Atemzug. Ich habe inzwischen ein halbes Dutzend Meditationseinheiten durchlaufen. Zwanzig Minuten können unendlich lang sein. Mein Hirn funkt mir, es möchte Input: ich langweile mich. Natürlich könnte ich während der Meditation vor mich hinträumen. Aber dann könnte ich auch gleich nach Hause fahren. Vor allem aber hält unser Zen-Meister uns jeden Morgen nach dem Frühstück einen bewegenden Vortrag. Themen sind: Verlust, Reue, Angst und Tod. Das ist, warum ich hier bin, und ich verstehe, warum unser Zen-Meister so geschätzt wird. Dabei gibt er keine einfachen Antworten. Er lehrt eher über Anekdoten und Bilder, beleuchtet dabei wie in unterschiedlichen Religionen nach Spiritualität gesucht wird, versucht mit Aphorismen alter Zen-Meister geistige Räume aufzuspannen und erzählt von Begegnungen mit Menschen in ihren dunkelsten Stunden. Ich lerne, Zen arbeitet weder über den Verstand, noch über das Gefühl, sondern über die Erfahrung. Die Erfahrung kommt über die Übung. Also zwinge ich mich erneut auf die Atmung zu konzentrieren. Ein – aus: zweiter Atemzug. Nun fangen kleine Irrlichter an vor meinen Augen zu tanzen. Offenbar hyperventiliere ich. Die Bauchatmung, die beim Zazen angewandt werden soll, kann für Anfänger tückisch werden. Am Ende des Tages bin ich sauer auf mich, weil ich nicht in die Meditation hineinfinde. Der Zauber des Anfangs ist verflogen.

Innere Rebellion.

Dritter Tag. Während des Mittagessens nach weiteren Meditationseinheiten hadere ich mit dem Zen. Der Frühling draußen lockt. Auch wenn ich den Blick gesenkt halte, höre ich die Vögel von draußen. Alles sträubt sich in mir gegen diese fehlende Interaktion. Ich will mich nicht mehr mit meiner Vergänglichkeit auseinandersetzen, will mich nicht mehr mit mir selbst beschäftigen. Alles erscheint mir plötzlich zu dunkel und morbid. Zum ersten Mal fühle ich mich eingesperrt. Immerhin darf man in der Mittagspause „in angemessener Haltung“ einen Spaziergang im schönen Klostergarten unternehmen.

 

Die Unterweisung

Im Laufe der Meditationswoche ist jeder Kursteilnehmer eingeladen, auch eine private Unterredung mit unserem Zen-Meister zu vereinbaren. Während die anderen weiter meditieren, warte ich vor einem schallisolierten kleinen Raum neben dem Zendo bis mich Herrn Franthal zum Eintreten aufgefordert. Nach einer Verbeugung, kniee ich mich meinem Zen-Meister gegenüber und schildere meine Krise. Er überrascht mich mit dem Wissen, dass ich in den vergangenen Tagen in der Mittagspause mit einer anderen Kursteilnehmerin gesprochen habe. Ich fühle mich ertappt. Milde entlässt er mich mit dem Rat, mir selbst eine Chance zu geben, und die kostbare Zeit im Kloster für mich zu nutzen. Und ab jetzt wirklich zu schweigen.

 

Die Veränderung

Am vorletzten Tag passiert etwas. Die Veränderung kommt schleichend. Beim morgendlichen Meditieren nehme ich aus dem Augenwinkel den Sonnenstrahl wahr, der durch die Oberlichter ins Zendo einfällt und lächele innerlich. Das Sitzen fällt mir leicht, weil ich immer länger in der Versenkung verharren kann. Beim Frühstück schmeckt der Zimt, mit der der warme Haferbrei gewürzt ist, besonders intensiv. Ich spüre mit einem Mal meine durch das Schweigen geschärften Sinne. Eine warme Dankbarkeit macht sich in mir breit.

Letzter Tag. Nach dem Wecken gibt es noch einmal Meditation. Beim Frühstück ist das Schweigen dann aufgehoben. Plötzlich hallt der Raum laut von Gesprächen und Gelächter. Ich weiß nicht, warum. Im Schweigen war der Raum schöner.

 

Othmar Franthal

Zen-Meister

Geboren 1956 in Vorau (Österreich). Nach seiner Ausbildung zum KFZ-Meister, orientierte er sein Leben als 19jähriger nach einem schweren Verkehrsunfall neu und wurde zunnächst diplomierter Altenhelfer. Danach nahm er in Graz als Gründungsmitglied in der Franziskanischen Gemeinschaft vom  „Haus der Stille“ teil, bevor er 1991 mit seiner Frau nach Dietfurt zog.

Ausbildung zum Zen-Meister erhielt Othmar Franthal von Prof. Nagaya, Pater Lasalle, Pater Viktor Löw, Kubota Jiun Roshi und Yamada Ryoun Roshi.

Stationen seines Zen-Weges.

1998 wurde Franthal zum Zen-Lehrer, Sanbo Zen International ernannt.

2006 erfolgte die Anerkennung unnd Autorisierung zum Jun-Shike, Sanbo Zen International.

Zuletzt wurde Franthal 2020 von Inka Shomei zum Dharma-Erben unnd Nachfolger von Yamada Ryoun Roshi ernannt sowie zum „Authentic Zen Master“ (Sho Shike), Sanbo Zen International, autorisiert.

 

Kloster Dietfurt

Bekannt für: Ältestes christliches Zen-Kloster im deutschsprachigen Raum.

Wie Zen nach Dietfurt kam

Der Grundstein zu Kloster Dietfurt  im Altmühltal wurde 1660 gelegt. Heute leben dort noch sechs Franziskaner. Mit der 1977 erfolgten Errichtung eines Meditationshauses nach japanischem Vorbild, darf es sich als ältestes christliche Zen-Kloster im deutschsprachigen Raum bezeichnen. Verantwortlich für die Erbauung war Jesuitenpater Hugo Makibi Enomiya-Lassalle (1898-1990), der ab 1929 in Japan missionierte, die Atombombe in Hiroshima überlebte und nach seiner Rückkehr als Vermittler von Zen-Tradition im Westen große Anerkennung errang. 

 

Große Slider Galerie.

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