Auf Distanz

Immer mehr Menschen distanzieren sich vom Medium Zeitung. Die Gründe reichen von der Enttäuschung, nicht ausreichend informiert zu sein bis hin zum Bedürfnis, bereits durch einen Klick im Bilde zu sein. Drei Menschen erzählen ihre Geschichte.

Irrelevantes

…möchte Peter Wolf eigentlich nicht mehr lesen. Der 78-jährige Professor für Bauingenieurwesen ist gebildet, politisch interessiert und das Lesen einer Tageszeitung hat für ihn lange zum guten Namen gehört.

An das scheppernde Geräusch kann sich Peter Wolf ganz genau erinnern. Schließlich quetschte die Schwabinger Postfrau jeden Morgen die Süddeutsche Zeitung durch den kleinen silbernen Schlitz der blauen Eingangstür. Damals war er 27 und auf dem Schild stand der Name Wolf geschrieben. Das ist jetzt 50 Jahre her und mit der Zeit hat sich nicht nur die Farbe der Haustür verändert, sondern auch der Name der Zeitung.
Seit 1985 lebt der mittlerweile etwas grau gewordene Mann mit seiner Frau Marianne in Kassel. Mit dem Umzug kam auch der Umschwung und aus der Süddeutschen Zeitung wurde die FAZ. Zusätzlich abonnierte die Familie die Hessisch Niedersächsische Allgemeine Zeitung (kurz HNA), um auch politische und kulturell in Kassel und Umgebung informiert zu sein. Geblieben ist ihm heute nur noch die HNA.

Bereits seit Jahren kämpft die Zeitungsbranche mit sinkenden Abonnentenzahlen. Onlineportale und soziale Netzwerke scheinen klassische Medien wie die Zeitung abzulösen. Die Auflagen der Tageszeitungen nehmen kontinuierlich ab. Das verdeutlicht folgende Studie.

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Auch Peter Wolf hat sich vor zwei Jahren von seinem FAZ-Abo getrennt. Jetzt liest er nur noch die Online-Version und ganz selten kauft er sich eine Ausgabe am Kiosk. Viel zu umfangreich sei ihm die Zeitung und am Ende des Tages habe er mindestens ein Drittel ungelesen in den Papierkorb geschmissen.

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Peter Wolf

Es werden immer zu viele Seiten geschrieben, aber die sachliche Aussage in den Artikeln ist zu gering. Der Kern der Sache kommt zu kurz.

Überhaupt fehle ihm in ganz Deutschland die Möglichkeit, sich objektiv und sachlich zu informieren..

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Peter Wolf

Mich interessiert nicht, was Journalisten zu einer Sache oder einem Ereignis sagen. Das ist alles nur aus zweiter und dritter Hand.

Seine Konsequenz: Peter Wolf recherchiert lieber im Internet nach ihm bereits bekannten Verfassern und informiert sich so über Hintergründe und Fakten. Zufrieden stellt ihn das jedoch nicht. Viel mehr würde er sich eine Zeitung wünschen, die komprimiert und sachlich berichtet. Dabei reichen seine Vorstellungen bis zu der Möglichkeit, dass der Zeitungsleser Zugang zu Originalquellen bekommt. Präzise Querverweise, die dem Abonnenten bei Bedarf weitere und tiefere Einblicke gewähren. Um es mit Peter Wolfs Worten auszudrücken, hätte er schlicht und einfach gern eine Zeitung, die harte Informationen liefert. Dann würde er sich auch wieder für ein Zeitungsabo entscheiden.

Der Stil stößt sie ab!

Früher dachte Barbara Wolf, was in der Zeitung steht, ist wahr und hat sie als Informationsmittel gesehen. Heute werden Tageszeitungen für sie zusehends zu einer Hülle ohne Inhalt.

Das erste Mal Zeitung gelesen hat die Frau mit dem pinken Kopftuch mit 15. In der Schule war das und damals, das weiß sie noch, musste sie einen Wirtschaftsartikel analysieren. Später, in Studentenzeiten, ist sie durch Probeabos an ihre Informationen gekommen, aber ein festes Abonnement hatte sie nie. Wollte Barbara Wolf auch nicht. Denn ihre Zeitung hat sie sich lieber sporadisch gekauft, mal die Zeit, mal die Taz, mal die italienische La Repubblica.

Mit nackten Füßen läuft Barbara Wolf an diesem sonnigen Apriltag durch ihr kleines Lädchen in Laim. Weiß/Orange hat sie die Wände gestrichen, im Schaufenster hängt ein großes Schild mit der Aufschrift – Binario11 – Italienisch lernen und leben. Darunter klebt ein kleiner Artikel über sie und ihre Arbeit – für sie vielleicht das letzte Relikt, das sie aus einer Zeitung gezogen hat.

Barbara Wolf ist Münchnerin, aber auch Berlin und Bologna waren schon Stationen in ihrem Leben. Gelesen hat sie immer gern, ihr Interesse galt redaktionell gut aufbereiteten gesellschaftskritischen, philosophischen, künstlerischen Themen. Die kann die 50-Jährige seit ein paar Jahren nicht mehr finden und so ist ihr Interesse an einer Tageszeitung fast verebbt.

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Barbara Wolf

Was in der Zeitung steht, ist für mich wie in einer Kneipe, ein bisschen oberflächliches Geplauder, nur in Schriftform.

 

Dabei ist Deutschland der größte Zeitungsmarkt Europas und hinter China, Indien, Japan und der USA der fünftgrößte der Welt.

Der Stil stößt die studierte Theaterpädagogin ab. Sie will sich nicht an den Meinungen von Journalisten bilden, sich nicht fremdsteuern lassen.
Barbara Wolf fehlt der Platz für eigene Gedanken, für neue Informationen, über die sie nach dem Lesen nachdenken kann.
Deshalb liest sie lieber Bücher als Zeitungen und holt sich gezielt auch Informationen aus dem Netz oder führt persönliche Gespräche.

 

Immer auf dem neusten Stand

…ist Sophie von Hoyningen-Huene und das nicht nur in Puncto Mode. Ihr Zeit-Abo hat sie vor einem Jahr zwar abbestellt, doch uniformierter fühlt sich die quirlige Frau mit dem dunklen Brillengestell nicht.

Lila Fingernägel wischen flink über den Bildschirm eines Smartphones. Es gehört Sophie von Hoyningen-Huene und gerade hat es plopp gemacht. Eine Eilmeldung – übermittelt von einer App.

Gebürtig kommt die große blonde Frau aus Hamburg, ist Tochter eines PR-Agenturbesitzers und Zeitungen gab es bei ihr Zuhause en masse. Das Papier zwischen ihren Händen mochte sie immer gern, erinnert sie sich, gelesen hat sie allerdings nur das Fernsehprogramm.
Erst als Sophie später an der Uni in Hannover Journalismus studierte, hat sie sich näher mit dem Medium Zeitung beschäftigt, musste herausfinden, was die verschiedenen Zeitungen so veröffentlichen und ihre Schlüsse daraus ziehen.
Danach bestellte sie sich ihre erste Zeitung nach Hause. Es war die ZEIT und eigentlich hat sie sich auch immer gut informiert gefühlt. Bis vor einem Jahr. Der neue Job beim Radio raubte ihr die Zeit, um ihre ZEIT ausreichend zu lesen. Dann hat sie sich vom Abo getrennt, ist umgestiegen auf Informationen aus dem Netz.

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Barbara Wolf

„Ich finde diese Schnelligkeit großartig“

 

Das Medium Zeitung spielt für Sophie von Hoyningen-Huene heute keine Rolle mehr. Die sozialen Netzwerke sind zu Informanten geworden, ihre Freunde zu Gatekeepern. Artikel, Kommentare oder Interviews bekommt Sophie von Hoyningen-Huene nur noch von Bekannten empfohlen, die sie anschließend selber teilt. Durch Push-Benachrichtigungen erhält sie Eilmeldungen direkt auf ihr iPhone, fühlt sich dadurch immer auf dem neusten Stand.

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Sophie von Hoyningen-Huene

 Wenn mir Leute morgen über ein Ereignis erzählen, kann ich nur noch sagen: das interessiert mich nicht, hab ich gestern schon gewusst.

 

 

Eine Zeitung kann das für Sophie definitiv nicht leisten. Leid tut es ihr lediglich um die Seite Drei und damit um lang recherchierte Hintergrundgeschichte. Wenn sie sich jetzt tiefergehend informieren möchte, googelt sie gezielt nach Artikeln. Ansonsten reichen ihr die Informationen, die sie so bekommt.

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Sophie von Hoyningen-Huene

Für mich geht es heutzutage in der Kommunikation mit Menschen nicht mehr unbedingt darum: wer weiß wieviel worüber, sondern eher um: wer weiß was wann!

 

Und schon ploppt wieder eine App auf, der Kopf senkt sich und Sophie liest die gerade eingegangene Eilmeldung.

Die Gründe, warum sich Menschen von der Zeitung trennen sind verschieden. Eines verbindet sie jedoch – das Verlangen nach Informationen. Auf die Tageszeitungen sind sie dabei jedoch nicht mehr angewiesen.

 

 

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