
Von der Bühne zurück aufs Sofa
Von Philipp Trojer
Die Corona-Pandemie hat in den Konzertlocations das Licht ausgeknipst: Musiker stehen nicht mehr auf der Bühne, sondern sitzen zuhause auf dem Sofa. Für die einen ein Grund erst richtig laut zu werden, für die anderen zerbricht ein Lebenstraum.

Stunde Null
„Wir werden jetzt erst richtig laut“
Aaron Puntajer (26) wollte das Jahr 2021 mit seiner Band Stunde Null im Tourbus verbringen. Die Hoffnung, dass Konzerte nach über einem Jahr wieder möglich sein würden, hat sich aber nicht bewahrheitet: Im Musikbusiness bleibt es auch 2021 still. Für die fünf Musiker ein Grund erst richtig laut zu werden. Sie haben Wege gefunden, um trotz Corona weiter an ihrer Karriere zu arbeiten. Wie? Das erzählt Sänger Aaron Puntajer im Video.
Patrick Strobl
„Musik ist zu etwas Schmerzhaftem verkommen“
Das Feuer, das für die Musik in Patrick Strobl brannte, es lodert nicht mehr. Wegen Corona musste er seinen Traumberuf als Musiker vorübergehend aufgeben. Aber ein Funken Hoffnung bleibt.
„In der Pandemie habe ich eine Achterbahn der Gefühle erlebt: von unbändiger Motivation bis hin zu tiefer Traurigkeit. Am Anfang wollte ich mich nicht unterkriegen lassen. Ich war bereit alles zu geben, um meinen Traum am Leben zu halten. Irgendwann ist die Musik dann aber zu etwas Schmerzhaftem verkommen: Ich habe jeden Ton, den ich auf der Gitarre gespielt, jede Zeile, die ich geschrieben und jede Melodie, die ich gesungen habe, gehasst. Heute ist zwar immer noch kein Licht am Ende des Tunnels erkennbar, aber die Musik ist wieder zu einem Rückzugsort geworden, aus dem ich Kraft schöpfen kann.“ So blickt Patrick Strobl (35) auf das Coronajahr zurück.

Keinen Bock auf „normal“

Strobl erkannte früh, dass er zum Entertainer geboren ist. Schon als Volksschüler trug er bei Familienfeiern auf der Gitarre seine ersten Eigenkompositionen vor, im Alter von zwölf Jahren gründete er seine erste Band. Spätestens im Studium war für ihn klar: „Ich habe keinen Bock auf ‚normal‘! Ich kann nicht ‚normal‘! Musik ist der einzige richtige Weg für mich!“
Unter dem Protest seiner Familie („Lern doch etwas anständiges!“) brach er sein Studium in Salzburg ab und konzentrierte sich auf seine Musik. „Ich hatte mich selbst immer als Student gesehen, der nebenbei Musik macht. Irgendwann habe ich diese Selbstdefinition umgedreht. Plötzlich war ich ein Musiker, der nebenbei irgend einen Job hat. Dieser Perspektivwechsel hat alles verändert.“
Vom Traum- zum Brotberuf
2014 hat Strobl eine Firma gegründet, um sich mit seiner Band Mainfelt professionell aufzustellen. Anfangs investierten die vier Musiker jeden verdienten Euro in ihre Musik und mussten auch einiges an Lehrgeld zahlen. Relativ schnell gelang es ihnen aber mit ihrem Folkrock eine treue Fanbase aufzubauen. Mit Konzerten, CD-Verkäufen und Merchandise konnten sie gute Gewinne erzielen. Nebenbei hat sich der Frontman und Sänger weitergebildet, eine Ausbildung zum Produzenten gemacht, eigene Events organisiert und sich im Musik- und Showgeschäft möglichst breit aufgestellt.

Ein Sprung ins Jahr 2020: Neues Album, neue Bandbesetzung, Konzert-Tournee in Deutschland, Österreich und der Schweiz, ein Vertrag mit dem Major-Label Sony – eigentlich sah es am Jahresbeginn so aus, als laufe für Strobl alles wie geplant. Dann kam Corona mit einer Blutgrätsche von hinten und hat dem Mainfelt-Frontman die Beine weggerissen: „Eigentlich bin ich ein Optimist und habe in meinem Leben für jedes Problem eine Lösung gefunden. Deshalb bin ich mit sehr viel Elan und Zuversicht in den ersten Lockdown gestartet.“
Mit Onlinekonzerten hielt er den Kontakt zu seinen Fans aufrecht und arbeitete weiter an der Albumpromotion. Er machte sich für die Musikszene stark, suchte den Dialog mit der Politik, forderte Corona-Hilfen für den Kulturbetrieb ein. „Doch mit dem anhaltenden Gesundheitsnotstand schwand zunehmend meine positive Einstellung. Der Todesstoß kam im Oktober, als erneut fast ganz Europa in einen harten Lockdown ging. So wurde die letzte Hoffnung auf Konzerte oder eine kleine Tour zunichte gemacht.“
„Ich hatte einfach keine Lust mehr“
„Du bist es leid, ständig zuhause rumzusitzen. Du willst endlich wieder auf die Bühne. Du vermisst die Interaktion mit dem Publikum. Du willst endlich wieder Geld mit dem verdienen, was du am besten kannst – aber du darfst nicht. Für mich kam da die schmerzliche Einsicht, dass ich meine Karriere als Musiker vorübergehend stilllegen muss, um mich über Wasser zu halten.“ Im Oktober nimmt der Musiker eine Stelle in einem Versicherungsbüro an. Ein herber Schlag für Strobls Selbstbewusstsein nach der jahrelangen und nervenaufreibenden Arbeit mit seiner Band.
Trost findet er in dieser Situation nicht einmal bei seiner geliebten Musik: „Ich hatte einfach keine Lust mehr. Die Gitarre habe ich wochenlang nicht angefasst. Ich hatte keine Lust mehr auf die Leute und das ganze Drumherum in der Unterhaltungsbranche, keine Lust auf ‚heile Welt‘ spielen. Einfach keine Lust mehr auf Musik.“
Der Funke Hoffnung

Lange war für den 35-Jährigen unklar, ob es überhaupt noch einmal einen Weg „zurück“ geben könnte. „Es ist still geworden. Zu still und in all dieser Stille gab es zu viel Stillstand. Ich habe versucht mich abzukapseln, neu zu ordnen, neu zu erfinden. Und irgendwann konnte ich loslassen. Wollte nicht mehr unbedingt ständig präsent sein und mich ständig beweisen. Nur so konnte ich die Freude an der Musik wiederentdecken, die prekäre Situation akzeptieren und die Musik wieder zu dem machen, was sie immer für mich war: ein Rückzugsort, der nur mir gehört. Vor einigen Tagen habe ich sogar zum ersten Mal wieder einen Song geschrieben.“
Nach langem Hadern hat Patrick Strobl beschlossen an dem Funken Hoffnung, der noch besteht, festzuhalten. Sein Herzensprojekt soll nicht unter den Trümmern von Corona begraben werden. Die stille Zeit will er nun nutzen, um an einem neuem Konzept für seine Band Mainfelt zu arbeiten – im stillen Kämmerlein bis der Neustart mit einem lauten Knall erfolgen kann: „Die Pandemie hat mir die Zeit gegeben einen Gang zurück zu schalten, mein musikalisches Schaffen druckfrei auf mich wirken zu lassen und neue Ideen zu entwickeln. Im Moment sind die Aussichten noch düster, aber ich kann und will mich noch nicht geschlagen geben. Ich bereite mich auf den Neustart vor, solange verdiene ich meine Brötchen im Versicherungsbüro.“
Chris Kaufmann
Vom Home-Studio in die ganze Welt
Chris Kaufmann (38) ist einer jener Musiker, die sich von der Pandemie nicht aus der Ruhe bringen lassen. In seinem Studio in Truden (Südtirol) hat er sich pandemiekonform eingerichtet. Trotz Lockdown arbeitet er von dort mit Künstlern auf der ganzen Welt zusammen. Wie er dabei vorgeht und warum er die Gitarre an den Nagel hängen würde, wenn es auch in Zukunft nur noch Streaming-Konzerte gäbe, erzählt er im Video-Podcast.

Meine Corona-Playlist: Songs gegen Fernweh
„Es ist seltsam plötzlich so viele Abende zuhause auf der Couch herumzuliegen. Da fällt einem schon mal die Decke auf den Kopf.“ Normalerweise verbringt Claus Stecher (31) rund 250 Abende im Jahr außer Haus. Entweder steht er selbst auf der Bühne mit seiner Gitarre unterm Arm oder er steht hinter seinem Mischpult. Von dort setzt er die Band auf der Bühne gekonnt in Szene. Sein Zuhause ist eigentlich der Tourbus, sein Wohnzimmer der Backstagebereich.
Nun sitzt er zwar weiter am Mischpult, aber nicht in Konzertlocations in Deutschland, Österreich, Italien oder Japan, sondern in seinem Home-Studio in Zürich – in Pandemie-Zeiten ist eben alles anders.


In seiner Corona-Playlist stellt der Musiker und Tontechniker 5 Songs vor, die für ihn eine besondere Bedeutung haben. In Zeiten von Lockdown, Ausgangssperre und abgesagten Tourneen lindern sie sein Fernweh, erinnern ihn an die „guten alten Zeiten“ und geben ihm die Kraft, um an seiner großen Passion festzuhalten.
„Nichts übertrifft ein echtes Konzert“
„Mit 13 Jahren sollte mein großer Traum in Erfüllung gehen: AC/DC live – in einem Stadion! Tage vor dem Konzert plagte mich die Sorge, dass mein Herz womöglich die Aufregung nicht aushalten könnte und ich beim ersten Ton einfach tot umfallen könnte. Der Konzert-Tag kam, die Aufregung war da, das Herz schlug wie verrückt. Das erste ‚Boom‘ kam auch und die Band legte los. Gestorben bin ich dann doch nicht, aber mein Leben hat es für immer verändert“, erzählt Jacopo Lambrosa (24).
Der Student ist das, was man wohl als „Konzertkjunkie“ bezeichnen würde: Während sich viele Musikfans damit begnügen ihre Idole auf dem Poster über dem Bett anzuhimmeln, hat er kaum einen von ihnen noch nicht live auf der Bühne erlebt. Konzerte sind seine große Leidenschaft, für die er auch nur allzu gern eine weite Reise auf sich nimmt.
Die Pandemie verbringt Lambrosa in seiner Wohnung in Kremps mit Schallplatten, Live-DVDs und Tonleitern-Üben auf seiner Gitarre. Durchgeschwitzt, Schulter an Schulter mit seinen Nebenmännern, aus voller Kehle mitsingend, unter der grellen Sonne bei einem Open Air, das wäre ihm lieber. Aber solange das der Gesundheitsnotstand nicht zulässt, bleiben ihm die Erinnerungen an einige der besten Momente seines Lebens: „Es wird wieder Konzerte geben – und ich werde wieder in der ersten Reihe stehen. Bis dahin schwelge ich in meinen Erinnerungen und drehe die Stereo-Anlage im Wohnzimmer so laut auf, dass die Wände wackeln.“
Die interaktive Karte zeigt nur einige der Konzert-Highlights und die besten Erinnerungen, die Jacopo Lambrosa in den vergangenen Jahren gesammelt auf ihnen hat.
