Sick and the City

 

Von Eva-Maria Lill und Petra Gasslitter

 

Die Szenebar Death&Company im East Village schenkt 51 verschiedene Cocktails aus. Nur einen nicht.

Noch schnell zum Friseur, die Haare frisch, Kosmetiktasche schwerer als das ganze Handgepäck. Aufregend! New York erkunden, mutig sein. Nach Geschichten schnüffeln, die Nase nah am Asphalt. Alle Zuhause grün vor Neid machen. Zwei Tage hat es gedauert, bis von Daheim anstatt „Du-Hast‘s-Gut“-Geseufze nur noch „Du-Arme“-Mitteilungen reinflutschten. Zwei Tage, bis aus „nach Geschichten schnüffeln“ das „Schnarchen in Manhattan“ wurde, unsere Nasen rot. Denn: Wir sind krank. Und mit uns, irgendwie, das gesamte amerikanische Gesundheitssystem.

Sightseeing? Nee, Sirup!

Stimmt. In den USA gibt es Pillen, Salben, Säfte wie Bonbons, nicht nur in Apotheke, sondern auch im Supermarkt. Wir also rotzend unterwegs auf der Suche nach dem Goldenen Gral der Genesung. Irgendwas wie Aspirin, hello? Something for this cold, maybe? Flu? Oh yes, yes, sure, take this. Hier wird in Tablespoons gemessen, denn des Amis liebstes Mittelchen ist der Sirup. Den gibt’s in coolem Meerwasserblau und Kirschrot, in Ritzegelb oder Central-Park-Grün. Eins ist allen gemeinsam: Die babben des Maul zusamme, wie der Hesse sagt. They are too damn sweet, der Ami. Das Herunterstürzen mit Kopf im Nacken erinnert wenigstens ein bisschen an gediegenes Shots-Kippen, mit viel Phantasie schmeckt es sogar nach Großstadt.

Da hilft es auch nichts, möglichst nahe am Fenster zu röcheln, um zumindest einen raschen Biss vom großen Apfel abzubekommen. Soll angeblich gesund sein. So ne Vitaminbombe aus Hochhausliebe und Menschenmief. Statt Bustour Bettlager, statt Hudson Husten und der Hashtag #shoppingfever klingt plötzlich ziemlich traurig. Dafür kommen wir in den exklusiven Genuss, gleich sechs Sirups zu schlürfen. Auch ein Arztbesuch scheint zwischendrin verlockend, als das #shoppingfever am Höhepunkt überkocht. Aber ein schneller Hilfeklick auf Google verrät: So viel Geld verdienen Redakteure nicht. Also weiterleiden. Wenigstens ist der Tee hier gut.

Die Stadt, die niemals schläft, kann man auch verpennen

Schlucken, Schlucken, Schlucken. Die Enttäuschung, nicht in der Stadt, sondern auf dem Hotel zu liegen, muss mit dem Sirup die Kehle runter. Draußen wacht New York und schläft nicht mehr ein, wir liegen im Bett und kriegen keine Luft. Im Kopf klettern wir aufs Empire State, riechen an den Füßen der Freiheitsstatue und summen am Broadway „Can you feel the love tonight?“. Abhilfe gibt es übrigens erst in Form von kleinen rosa „Painkillern“, die verdächtig nach Drogen aussehen. Egal. Rein damit. Was Besseres werden wir nicht bekommen. Nicht unter 100 Dollar, zumindest.

Und wenn du denkst, es geht nicht mehr…

Nach zweieinhalb Tagen Dämmern im Delirium schlurfen wir endlich die 7th Avenue hinunter, suchen uns eine Suppe, dazu lecker Tee. Gesättigt, glücklich, genesen huschen wir die Straße entlang, vor uns – endlich die Stadt, nicht mehr verborgen hinter dreckigem Fensterglas. Ein Husten quält sich heraus, so ein letzter, was muss, das muss. Auf dem Gehweg hockt ein Obdachloser, verschmilzt fast mit der Nacht. Als wir vorüber schlendern, bellt er: „Cover your mouths you stupid assholes“ in breitem Slang. Danke, New York. Viel Schönes hast Du, Du bist ganz bezaubernd, wenn Du Dich nicht hinter Hotelfassaden versteckst. Aber krank, nein, krank will man in Deinen Straßen nicht sein.

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