2 Uhr morgens, ich lehne am Hoteleingang und inhaliere ein Stück Salami-Pizza. Da spricht mich ein Mann ohne Zähne an. Mit freundlichen Augen frage er mich, ob ich ihm beim Imbiss dort etwas zu essen kaufen kann. Bisher hatte ich noch keinem der vielen Bettler in NYC etwas gegeben.
Doch dieser Mann gefällt mir. Und lieber spende ich fettige Fleischspieße mit Brot anstatt ein paar Dollar für Kippen und Schnaps. Also drücke ich dem Grillmeister an der Ecke meine letzten zehn Dollar in die Hand und sehe ihm zu, wie er mit seiner Zange die gelb-gewürzten Hähnchenfetzen auf dem zischenden, schwarzen Rost herumschupft. Breit grinsend zieht dann der Mann ohne Zähne mit einer prall gefüllten, nach Gebratenem duftenden Plastiktüte ab. Fühlt sich gut an, denke ich, und gehe bester Laune schlafen. Doch schon am nächsten Tag werde ich meine Samariter-Aktion bereuen.
Nach dem Frühstück steige ich in die U-Bahn zur Wall-Street. Nach dem zweiten Stopp blicke ich vom Handy auf. Da ist er wieder. Der Mann ohne Zähne. Er lässt sich auf einen Platz bei der Tür sacken. Auf seinem Schoß: Eine Riesenschachtel Pizza. Vor acht Stunden noch schob er sich mit mir am Grill die heißen Fleischfetzen zwischen die gelb-schwarzen Stumpen. Ich selbst hatte seitdem nichts mehr gegessen, mein Magen drückte. Unsere Blicke treffen sich. Schnell schaut er weg und steckte sich ein Stück Hawaii in die Luke.
Mit Katie war alles anders. Sie und ich hatten uns in der Klo-Schlange im „Pianos“ kennengelernt. Sie fragte mich nach einem Haargummi für ihren Freund David, der neben ihr stand. Ihm klebten die Locken auf der Stirn. „So fuckin’ hot in here“, sagte er. Ich zog mir also das schwarze Gummiband vom Handgelenk und gab es David, der mehrmals dankend die nassen Strähnen am Hinterkopf zusammenknotete. „You save my life.“
Während Katie eine dick angestrichene junge Frau nach der anderen in der Klo-Reihe vor sich läßt, quetscht mich die New Yorkerin über München und Berlin (schon nach zwei englischen Worten aus meinem Mund war ihr klar, ich bin hier fremd) aus und will unbedingt wissen, wie mir ihre Stadt gefällt. Dann zählt sie mir unaufgefordert bestimmt 20 Clubs, Restaurants und Bars auf, die einen Besuch wert sind. Ich versuchte mir so viele Namen wie möglich ins Hirn zu schreiben. „And check out Brooklyn, Bedford Avenue“, sagt sie. „Nice place.“

Zwölf Stunden später spüre ich einem Klamottenladen eine Hand auf meiner Schulter. „Caroline?“ „Katie!“ Sie sagt, sie arbeite in der Nähe, habe gerade Feierabend. Zwischen Blue Jeans und Strickpullovern stehend tauschen wir uns über die Ereignisse des restlichen Vorabends aus. Plötzlich reißt sie die Augen auf, formt die Lippen zu einem Rund: „Oh my god!“ Hastik gräbt sie in ihrer Tasche und zieht einen rosa Haargummi heraus. Ich grinse und nehme an.
Über 8,4 Millionen Menschen leben im Kern dieser Stadt, die so schnell, wild und hungrig ist. Das sind mehr als doppelt so viele wie in Berlin, fast sechsmal so viele wie in München. Dennoch: Zweimal dieselben Leute getroffen, zu verschieben Zeiten, an verschiedenen Orten. Denn: New York City ist ein Dorf. Eben eins mit Wolkenkratzern.
