Von Kopf bis Huf

Knapp die Hälfte einer Kuh landet auf unserem Teller – der Rest wird oft nicht mal Hundefutter. Doch es geht auch anders. Zwei Gastronomen berichten von ihrer Ganztierverwertung.

Warme Luft schwallt aus der Gaststube des Schneider Bräuhaus in München – von den alteingesessenen Münchnern nur liebevoll das »Weiße Bräuhaus« genannt. Das mehrfach preisgekrönte Gasthaus ist proppenvoll. Touristen teilen sich einträchtig einen Tisch mit Bayern in Lederhosen, die Gesichter versteckt hinter buschigen Schnauzern und Gamsbarthüten, tief in gegerbte Stirnen gezogen. Ein paar Sonnenflecken tanzen auf der dunklen Holzvertäfelung der Wände. Die Kellnerinnen – im Dirndl – sausen von Tisch zu Tisch, Biergläser und Teller voller Kalbsherz mit Bratkartoffeln in den Händen. Eine Mischung aus Gläserklirren, einträchtigem, genussvollem Schweigen, tiefbayerischem Dialekt und ein paar Fremdsprachen wehen durch den Raum.

Otmar Mutzbach ist seit 2008 Geschäftsführer des Münchner Traditionsgasthauses. Das Restaurant hat nicht nur einen ausgezeichneten Ruf, sondern auch ganz besondere Münchner Schmankerl auf der Speisekarte: Kalbskron, das Zwerchfell vom Kalb, Saures Lüngerl oder auch mal Glasierte Sauschwanzerl und Ohren. »Ja, die Münchner haben schon immer ganz gerne Innereien gegessen«, betont Mutzenbach.

Damit sind die Münchner ihren Landsleuten einiges voraus. Denn während wir Deutschen in den 80er Jahren wöchentlich noch rund 1,5 Kilo Innereien aßen, waren es 2013 grade noch 150 Gramm.

Unternehmen wie das Weiße Bräuhaus setzen da ein Zeichen. Alleine könne man sich zwar nicht gegen die Verschwendung wehren, sagt Mutzenbach. Aber gar nichts zu tun, sei auch keine Option. Seit 2008 gilt die Münchner Kronfleischküche, die ebenfalls auf Ganztierverwertung setzt, als ein Alleinstellungsmerkmal des Restaurants.

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»Viele nehmen nur das Filet oder den Hals. Entweder, weil sie sich noch nie Gedanken gemacht haben, was mit dem Rest passiert, oder weil sie einfach nur ein bestimmtes Gericht auf der Karte haben wollen. Das kann es nicht sein!«

Sieht man sich an, was wir vom Tier verzehren, so ist das wenig. Allein 2013 waren von 11,4 Millionen Tonnen geschlachteter Tiere (s.u.) – eine Zahl, die dem Gewicht von 10.370 ausgewachsene Bullen entspricht – rund 43 Prozent »tierische Nebenprodukte« . Heißt, beinahe die Hälfte eines geschlachteten Tieres landet entweder in der Industrie, im Export, im Haustierfutter oder als Tiermehl in außereuropäischen Aquakulturen.

Wir bieten hier die Münchner Kronfleischküche an. Das Schneider Bräuhaus ist eines der wenigen Häuser hier in München, das dieses Konzept über die Jahre beibehalten hat. Die Kronfleischküche war immer eng mit unserem Haus verbunden und es war klar, dass wir ihr treu bleiben.

Otmar Mutzenbach
Geschäftsführer
Schneider Bräuhaus München im Tal

In vielen Ländern werden Tiere ganzwertig verarbeitet und gegessen. Bei uns in Deutschland sieht das anders aus:
Der essbare Anteil eines Tieres liegt hier nur zwischen einem und zwei Dritteln.

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Kilogramm Fleisch isst ein Deutscher pro Jahr

Natürlich lässt sich argumentieren, dass nichts verkommt. Man würde die Tiere ja noch ganzwertig verarbeiten – auch, wenn sie nicht auf dem Teller landen. Bei der Öko-Bilanz der Massentierhaltung, wird klar: Tierproduktion ist nicht mehr ökologisch vertretbar, wenn tierisches Eiweiß in Form von Tiermehl aus Deutschland im Ausland verkauft wird und im Gegenzug Sojabohnen aus Brasilien zugekauft werden. Wo infolge dessen Regenwälder für die Sojabohnen-Produktion gerodet werden. Das ist nur ein Beispiel.

Auch die Bio-Produktion in Deutschland findet nicht immer nachhaltig statt. Die meisten Metzger verkaufen selten ganze Tiere. »Da werden im Normalfall Chargen zusammengestellt«, erläutert Mutzenbach, »Gerade wenn ein Fast-Food-Unternehmen eine bestimmte Fleischzusammenstellung in großen Mengen braucht, entstehen bestimmte Sonderangebote, weil der Metzger sonst auf einem anderen Teil sitzen bleibt.« Um wirklich das ganze Tier einkaufen und im Anschluss verwerten zu können, kauft das Schneider Bräuhaus direkt beim Bauern oder beim Schlachthof. Denn der Metzger selbst reagiert nur auf Angebot und Nachfrage. »Die müssen ja auch leben…«, schließt der Wirt schulterzuckend.

Ganztierverwertung lässt sich nicht als ein alleiniges Problem betrachten. Sie muss mit den anderen Faktoren der Nachhaltigkeitsdebatte verbunden werden: Natürliche Produktion, Einkauf natürlicher Rohstoffe, eine faire Wertschöpfungskette und dann erst dann ein ganzwertiger Verbrauch. »Hier muss meines Erachtens die Macht auch vom Verbraucher ausgehen«, sagt Otmar Mutzenbach ernst, »Solange Menschen in Deutschland manchmal schon beinahe gezwungen sind, das Kilo Fleisch um zwei Euro zu kaufen, wird sich in dieser Debatte nichts ändern.« Der Geschäftsführer des Schneider Weisse Bräuhaus setzt deshalb nicht nur im Arbeitsleben ein Zeichen. Auch privat zählt er sich inzwischen zu den Flexitariern und schränkt seinen Fleischkonsum bewusst ein.

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»Ich glaube nicht, dass wir in 10 bis 15 Jahren soweit sind, alle Tiere komplett zu verwerten«, gibt er zu, »Aber mehr Menschen müssen wieder lernen, bewusster mit Lebensmitteln umzugehen. Nichts zu tun geht auch nicht.«

Rund 60 Kilogramm Fleisch verzehren wir pro Jahr – das macht 45 Millionen Hühner, 4,1 Millionen Schweine und 230.000 Rinder. Nur ein Kilo Fleisch, das wir pro Jahr weniger essen, würde hier ein Zeichen setzen – gegen die Verschwendung in unserer Gesellschaft. Und für den Respekt – gegenüber der Natur, gegenüber einem Lebewesen und schlussendlich gegenüber uns selbst.

Karl Ederer

deutscher Koch und Gastronom
Verfechter der „Heimat-Food“-Küche

Herr Ederer, wie sind Sie zur Ganztierverwertung gekommen?

Ich habe ja schon Mitte der 90er Jahre ein Bio-Restaurant betrieben. Ich bin auf dem Land aufgewachsen im bayerischen Wald und da ist die Nachhaltigkeit einfach eine Selbstverständlichkeit. Und wer wie ich schon länger in der Branche ist, der kriegt natürlich mit, welche Fehler da bei der Fleischverwertung gemacht werden.

Aber ich kenne gute Bauern und ich denke, wenn wir schon Fleisch essen, dann sollten wir das ganze Tier sehr bewusst und respektvoll behandeln und auch verwerten.

Wie ist denn das Feedback Ihrer Gäste auf sagen wir mal Ochsenschwanz oder saure Nierchen?

Es ist natürlich so: Ist der Koch sehr gut, dann glaubt der Kunde auch, dass das, was er kocht. gut sein muss. Bei einem unbekannten Koch bestellt er dann aber doch lieber das Steak, medium, mit großen Pommes und einem Chilisalz dazu. Das geht an der Nachhaltigkeit natürlich total vorbei, viele Zutaten müssen zugekauft werde. Ich halte das für einen absoluten Schwachsinn.

Sind wir denn auf einem guten Weg, in der Zukunft Tiere nachhaltiger zu verwerten?

Gerade im Bayerischen bereiten wir ja schon noch Gerichte wie Gulasch und Sauerbraten zu, mit denen mehr vom Tier verarbeitet wird. Aber ganz ehrlich: Viele junge Leute kennen die ungewöhnlicheren Fleischteile gar nicht mehr. Sie kennen nur „voll des fette Steak“ oder einen Burger. In ihrer Ansicht wird aus allem, was kein Steak ist, ein Burger gemacht. Dabei gibt es noch so viele tolle Fleischstücke.

Bei dieser Kälte zum Beispiel ist eine Rinderkraftbrühe, die aus den weniger beliebten Stücken gekocht wird einfach etwas Herrliches!

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Senka, 35
isst etwas einmal die Woche Fleisch

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Julian, 30
isst mehrmals die Woche Fleisch

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Gregor, 26
isst etwa einmal die Woche Fleisch

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Nermin, 34
isst fast täglich Fleisch

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Jochen, 31
isst mehrmals die Woche Fleisch

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Carilyn, 34
isst mehrmals die Woche Fleisch

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Irina, 26
isst ein bis zweimal die die Woche Fleisch

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Mirjam, 24
isst ein bis zweimal die Woche Fleisch

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Muamer, 32
isst mehrmals in der Woche Fleisch

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Lena, 23
isst zwei bis dreimal im Monat Fleisch

Fotos: Unsplash.com / Pixabay.com
Daten: Heinrich-Böll-Stiftung – Fleischatlas extra: Abfall und Verschwendung

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