Biker, die am Rad drehen

Nach den Wanderern jetzt die E-Biker: Deutschlands Mountainbiker rüsten zum nächsten Kampf. Und scheinen ihn schon verloren zu haben.

Dunkle Wolken verhüllen das Alpenpanorama. Am Spitzingsattel herrscht dennoch Hektik. Vielfarbige Funktionsshirts nehmen der grauen Forststraße etwas Tristesse. Ein kühles Radler auf der Unteren Firstalm kann Fahrradfahrer an diesem trüben Samstagmorgen locken. Die meisten sind schnell hinter dem ersten Anstieg verschwunden. Nur ein leises Surren stört den Gesang der Vögel.

Auch unweit des beschaulichen Schliersees erobert das E-Bike den Berg. Der Hype hat viele Menschen zum Sport gebracht. Seitdem beliebte Ausflugsziele häufig überlaufen sind, fühlen sich einige Mountainbiker in ihrem Freiheitsgefühl bedroht. Mitte der 1980er-Jahre galten sie noch selbst als Eindringlinge, nachdem Pioniere mit Speichen die Forstwege für sich entdeckt hatten. Harte Ablehnung der Wanderer und Förster war die Folge. Über die Jahre jedoch hat sich das Rad am Berg etabliert. Ihr Revier wollen Mountainbiker nicht mehr hergeben. Jetzt übernehmen sie die Rolle des Anklägers.

So auch in den Bayerischen Alpen. Manch Einheimischer, der die vorbeihechelnden Mountainbiker mit rustikalem Kopfnicken grüßt, hat für E-Biker nur ein verächtliches Schnauben. Vielleicht ein Grund, warum einige ihre Ladeakkus während der Mittagspause in den Rucksäcken verstauen.

Doch nicht alle Mountainbiker verteufeln die Entwicklung. Auch Carolina Schmitt, die sich ohne Motor Richtung Firstalm müht, kann die Aufregung nicht nachvollziehen. „Wenn die Leute jetzt ihr Auto stehen lassen und den Sport für sich entdecken, sollte das doch allen recht sein“, wundert sich die Allgäuerin.

Die Fahrradindustrie hält sich mit Kulturkämpfen nicht auf. Zu lukrativ ist das Geschäft mit dem E-Bike. Branchenriesen lassen Mountainbikes aus dem Sortiment verschwinden. Hochpreisige Profi-Modelle zu produzieren, muss man sich leisten können. Kaum ein Fahrradverleih verzichtet auf E-Bikes im Sortiment.

An der Hausmauer sind alle gleich. E-Biker wie Mountainbiker belohnen sich auf der Terrasse mit einem kühlen Radler. Brotzeitplatten werden herumgereicht. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages scheinen auf feudale Portionen Kaiserschmarrn. „Seitdem E-Bikes so gehypt werden, haben wir deutlich mehr Gäste“, freut sich Stephanie Iglberger. „Ob das noch Sport ist, weiß ich allerdings nicht“, sagt die 32-Jährige, die seit Jahren auf der Firstalm bedient. Die Szene ist gespalten.

Frischer Wind am Berg

Geruchsneutral, komfortabel und beinahe lautlos – das Thema Elektromobilität bewegt Deutschland. Den Umschwung voranzutreiben, ist so notwendig wie hip. In der Bundesrepublik zeigen Fahrradfahrer, wie man Diesel-Fahrverbote umweltbewusst umgehen kann. 720.000 verkaufte E-Bikes im Jahr 2017 stehen für den  Wandel auf zwei Reifen. Beinahe kümmerlich: Gerade einmal 54.000 Elektroautos fanden im selben Zeitraum einen Abnehmer.

“Gesportelt wird jetzt schon viel früher. Bei vielen Touren entfällt die lästige Anreise mit dem Auto, Ausflüge beginnen an der eigenen Haustüre”, zählt Heiko Mittelstädt von der Deutschen Initiative Mountain-Bike (DIMB) auf. Die Reichweite der Akkus erlaubt immer längere Touren. “Das senkt die Hemmschwelle für viele zusätzlich”, sagt Mittelstädt erfreut. Auf dem E-Mountainbike haben viele Menschen zum Sport gefunden – ohne sofort Höchstleistungen erbringen zu müssen. Dafür reicht jetzt ein Klick. Ein ganz neues Klientel profitiert.

Längst eingeschlafene Ehen blühen am Berg wieder auf. Zuvor scheiterten gemeinsame Touren oft an der unterschiedlichen Kondition der Partner. Nun ist es mitunter die Gattin, die als erste auf der Sonnenterrasse sitzt, während der Ehemann im Windschatten einen Motor herbeisehnt. Rentner, die die Gipfel ihrer Jugend ohne technische Unterstützung kaum noch erradeln könnten, sitzen wieder im Sattel. Manch Motorradfahrer steigt auf elektrischen Antrieb um – weil die Bewegung im Gelände für ihn im Vordergrund steht. Auch davon profitiert die Umwelt.

Zu einer messbaren Gefährdung hat der Besucherstrom in den Bergen bislang nicht geführt. Das belegen die Unfallstatistiken der Bergwacht-Verbände. “Schwarze Schafe gibt es überall. Grundsätzlich benehmen sich Leute auf dem E-Bike aber auch nicht anders als Mountainbiker”, konstatiert Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein.

<iframe id="datawrapper-chart-Q3bI5" src="//datawrapper.dwcdn.net/Q3bI5/2/" scrolling="no" frameborder="0" allowtransparency="true" style="width: 0; min-width: 100% !important;" height="313"></iframe><script type="text/javascript">if("undefined"==typeof window.datawrapper)window.datawrapper={};window.datawrapper["Q3bI5"]={},window.datawrapper["Q3bI5"].embedDeltas={"100":394,"200":340,"300":340,"400":313,"500":313,"700":313,"800":313,"900":313,"1000":313},window.datawrapper["Q3bI5"].iframe=document.getElementById("datawrapper-chart-Q3bI5"),window.datawrapper["Q3bI5"].iframe.style.height=window.datawrapper["Q3bI5"].embedDeltas[Math.min(1e3,Math.max(100*Math.floor(window.datawrapper["Q3bI5"].iframe.offsetWidth/100),100))]+"px",window.addEventListener("message",function(a){if("undefined"!=typeof a.data["datawrapper-height"])for(var b in a.data["datawrapper-height"])if("Q3bI5"==b)window.datawrapper["Q3bI5"].iframe.style.height=a.data["datawrapper-height"][b]+"px"});</script>

Uli Stanciu, 70, gilt als Mountainbike-Pionier der ersten Stunde. 1990 wagte er eine der ersten Alpenüberquerungen auf dem Fahrrad. 

Die Demokratisierung des Mountainbikes

Kommentar von Uli Stanciu

Die Ressentiments gegenüber E-Bikes stammen von gestandenen Mountainbikern, die ihr Revier nicht hergeben möchten. Als die Mountainbikes vor etwa 30 Jahren die Berge erobert haben, standen wir vor einer ähnlichen Situation. Dieselben Leute, die damals Toleranz von den Wanderern erwartet haben, wollen diese jetzt nicht zeigen.

Für mich ist das E-Bike die Demokratisierung des Mountainbikes. Der Grad der Freiheit, den der Fahrer jetzt erleben kann, ist ungleich höher. Jeder kann selbst entscheiden, wie sehr er sich auf einer Tour verausgaben will. Wer sich früher an einer langen Steigung komplett überanstrengt hat und dennoch absteigen musste, hat das stets als Niederlage empfunden. Mit der Unterstützung des E-Bikes lassen sich heute viele Enttäuschungen am Berg vermeiden.

Viele neue Leute haben mit der technischen Entwicklung zum Sport gefunden. Natürlich müssen dabei einige feststellen, dass sie gewissen Anforderungen am Berg zunächst nicht gewachsen sind. Mit denselben Problemen waren die Mountainbiker der ersten Stunde konfrontiert. Damals wie heute gilt: Was ich nicht kann, lerne ich.

Auch das Argument mit den überfüllten Strecken lasse ich nicht gelten. Ich bin das ganze Jahr über in den Alpen auf den beliebtesten Routen unterwegs und treffe kaum auf Leute. Das Gelände in Europa ist so groß, dass wirklich für alle Platz ist. Wirklich anspruchsvolle Trails lassen sich mit den  E-Bikes ohnehin nicht befahren.

Ich find´s super, dass ich jetzt mit meinem Mann mithalten kann und genieße die gemeinsamen, weiteren und höheren Touren –  gute Laune auf beiden Seiten inklusive. Wenn man schief angeschaut wird, dann von den fitten Älteren. Da hat man dann ein schlechtes Gewissen.

Antoinette, 53

Lehrerin

Weniger Trainierte können auf dem E-Bike auch anspruchsvollere Ausflüge unternehmen. Das Freiheitsgefühl für Mountainbiker geht meiner Meinung nach überhaupt nicht verloren. Für wirklich komplizierte Routen sind E-Bikes einfach zu schwer.

Tobias, 23

Student

Jeder kann sich einmal die Frage stellen, ob er im Alter auf alles verzichten will, was er als junger Mensch getan hat. Ein richtig guter Mountainbiker hat kein Problem mit E-Bikern, weil er seine Leistung nicht von anderen abhängig macht.

Andreas, 54

Landschaftsgärtner

Warum E-Bikes den Sport kaputtmachen

Ein stetes Keuchen im Nacken, Staus an neuralgischen Stellen, überfüllte Almen: Wenn sich Karawanen triefender Funktionsshirts die Berge hochwinden, bleibt von Freiheit nicht mehr viel übrig. “Da wo ich früher meine Ruhe gehabt habe, sitzen jetzt schon 20 andere, die ohne Motor nicht hochgekommen wären”, sagt die Chefin eines großen Fahrradverleihs im Alpenvorland. Einen Großteil ihres Umsatzes macht auch sie mit E-Bikes – weshalb ihr Name in diesem Text nicht auftauchen darf.

Manch Frischling stürzt sich gleich beim ersten Ausritt steile Trails hinunter – ohne jegliche Bergerfahrung, dafür mit einer gehörigen Portion Übermut. “Man merkt schon, dass sich viele Leute in die Berge aufmachen, ohne zu wissen, wie sie die Abfahrten meistern sollen”, sagt Josh Welz, Chefredakteur beim Bike-Magazin. Der 51-Jährige wirbt dafür, an Verleihstationen Grundschulungen für E-Bike-Neulinge durchzuführen.

Nicht selten herrscht Unwissenheit über  Regeln am Berg. Trails werden dann falsch befahren, gewagte Manöver irritieren viele Mountainbiker. „Für viele E-Biker ist der Berg noch Neuland, was das Konfliktpotenzial natürlich erhöht. Diesen Teil muss man ganz gezielt ansprechen“, fordert DAV-Mann Bucher.

<iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/GkCUQA9D29s" frameborder="0" allow="autoplay; encrypted-media" allowfullscreen></iframe>

Mountainbike-Profis wie Markus Bauer trifft der Hype ins Mark. Im Jahr 2017 zog die Firma Kreidler den Stecker. Das Cross-Country-Team, bei dem der 28-Jährige unter Vertrag stand: Aufgelöst. Profisport erschien nicht mehr rentabel, zu lukrativ die Wachstumsraten im E-Bike-Geschäft. Bauer wurde der Sattel unterm Hintern weggezogen. Der ehemalige Kreidler-Athlet steht ohne Team da, hat Mühe, Sponsoren zu finden – als amtierender Deutscher Meister im Mountainbike-Marathon.

Bauer fährt weiter. Auch ohne Vertrag. Auch wenn der Weg ohne Sponsoren steinig ist. “Als Deutscher Meister will ich einfach nicht verschwinden”, gibt er sich kämpferisch. Trotz seines persönlichen Schicksals, sieht Bauer die Entwicklung pragmatisch. “Es ist natürlich schade, dass der Sport unter dem E-Bike-Trend leidet. Mountainbiken ist einfach nicht mehr cool genug. Letztendlich ist es ein ganz normaler wirtschaftlicher Vorgang”, so der 28-Jährige. 

"Mit dem Motorrad kann man auch nicht durch den Wald brettern"

Moritz Milatz hat als Mountainbike-Profi an drei Olympischen Spielen teilgenommen. Im Jahr 2012 krönte er sich in Moskau zum Cross-Country-Europameister. Milatz ist der erste deutsche Mountainbiker, der einen internationalen Titel gewinnen konnte. Im Kreidler-Werksteam war der Breisgauer Teamkollege von Markus Bauer. Nach der Auflösung der Profi-Mannschaft im Jahr 2017 beendete Milatz seine Karriere. Dem E-Bike steht der 35-Jährige weniger offen gegenüber als Ex-Gefährte Bauer.

Wie verändert der E-Bike-Trend das Mountainbiken?

Viele Leute setzen sich jetzt aus Faulheit aufs Rad. Das widerspricht dem ursprünglichen Gedanken. Indirekt bedroht der Trend auch den Profisport. Für die großen Firmen ist es nicht mehr lukrativ, in Mountainbike-Teams zu investieren. E-Bikes versprechen einfach mehr Umsatz.

Viele Mountainbiker reagieren mit Abneigung. Wie nehmen Sie die neue Klientel am Berg wahr?

Wenn durch das E-Bike der Autoverkehr reduziert wird, kann ich das nur begrüßen. Es ist aber kaum verwunderlich, dass sich einige Leute bei ihren Ausflügen ins Gelände überschätzen. Auf dem E-Bike können Sie in Regionen vordringen, die ihnen vorher verwehrt geblieben sind. Manche haben das Rad dann nicht mehr unter Kontrolle.

Auch die Natur wird stärker belastet…

Der Wald ist ein Erholungsgebiet. Motorisierte Räder haben dort  nichts verloren. Mit dem Motorrad kann man auch nicht einfach durch den Wald brettern.

Wann bricht Moritz Milatz zu seiner ersten E-Bike-Tour auf?

Das ist für mich völlig ausgeschlossen. Ich habe keine Lust, mich diesem Massentrend anzuschließen. Derzeit bin ich über jede Form der Bewegung dankbar und genieße meine Fahrradtouren in die Arbeit sehr.

Die unkontrollierte Geschwindigkeit bei vielen Sportlern sehe ich sehr kritisch. Wenn abrupt gebremst wird, schreckt das die Tierwelt auf – auch Wanderer können die Situation als gefährlich wahrnehmen. 

Manfred, 81

Rentner

Einen Gipfel muss man sich verdienen können. Unbestritten haben E-Bikes viele Vorteile. Gerade in den Bergen entstehen jedoch viele gefährlichen Situationen, weil Menschen sich überschätzen.

Charlotte, 23

Studentin

Hüttenwirte, die ihre Almen ohne Strom bewirtschaften, sollen jetzt Ladestationen integrieren? Vom Bergidyll bleibt nicht mehr viel, wenn der Parkplatz zugeparkt ist, wie ein Münchner Edel-Italiener.

Norbert, 26

Spengler

Pin It on Pinterest

Share This