Dennis war fast die Hälfte seines Lebens auf Crystal Meth. Jetzt kämpft er sich aus dem Gefängnis seiner Sucht. Dafür musste er sich sogar von seiner geliebten Hündin Baylie trennen.
Wie viele Fußballfans, konnte auch Dennis die Partie Deutschland gegen Polen kaum erwarten. Sein Kumpel David, Dennis einziger Freund in München, hat ihn zum gemeinsamen Gucken zu sich nach Hause eingeladen. Als Dennis nach dem enttäuschenden Unentschieden in das Adaptionsphasenhaus in Laim zurückkehrt, wird er zur Rede gestellt: Er hat die Gruppentherapie am Abend verpasst – das hat Konsequenzen.
Statt bis um 24 Uhr darf er am Wochenende nur noch bis um 19 Uhr ausgehen. Jetzt sitzt er auf dem kleinen Balkon im ersten Stock und zündet sich eine selbstgedrehte Zigarette an. „Das Leben ohne Drogen macht halt einfach nicht so viel Spaß“, meint er achselzuckend.
Dennis ist 33 Jahre alt. Seit seinem 18. Lebensjahr schnupft er Crystal Meth. Seit neun Monaten ist er clean. Seit März lebt er im Adaptionsphasenhaus des Vereins Prop e.V. und plant sein Leben draußen.
Um irgendwann frei von seiner Sucht leben zu können, hat Dennis zunächst einige Freiheiten aufgeben müssen. Im Adaptionsphasenhaus gelten strenge Regeln: Drogen- und Alkoholtests sind Pflicht. In eine Liste tragen die Hausbewohner ein wann sie ausgehen, wohin und um wie viel Uhr sie er zurück sind.
Drogentote im Jahr 2015
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Anteil der Männer bei den Drogentoten
Dennis passt nicht so recht in das Bild, das viele von einem sogenannten „Crystal-Junkie“ haben. Sein Dreitagebart wirkt frisch gestutzt, die blonden Haare, oben lang unten kurz, sitzen. Beim Reden tippt er hin und wieder seine hippe Hornbrille an. Jogginghose und Adiletten verraten, dass er nicht oft raus geht.
Zusammen mit drei anderen Männern lebt Dennis in einer der fünf Wohnungen der therapeutischen Einrichtung in München Laim. Alle haben sie ein Ziel: Von hier aus in ein normales Leben starten. Auch ohne die strengen Hausregeln ein geregeltes Leben führen zu können.
„Ich wäre bestimmt irgendwann gestorben an meiner Drogensucht“
Für Dennis ist die Party vorbei. „Ich wäre bestimmt irgendwann gestorben an meiner Drogensucht“, stellt Dennis fest. Viele Süchtige, die er von damals kennt, haben heute Psychosen, manche sogar epileptische Anfälle. Er musste sich „nur“ sein rechtes Nasenloch und die Nebenhöhlen operieren lassen. Mit der rechten Seite hat er immer geschnupft.
Drauf zu sein, das sei ein geiles Gefühl, erzählt er. Er habe dann immer etwas mit sich anzufangen gewusst. Sich nun selbst den Tag zu strukturieren, das ist jetzt schwieriger: “Hier habe ich ja immer frei“, meint Dennis.
Damals sei noch nicht alles so schwierig gewesen, wie jetzt: „Nach außen hin war immer alles schön“, meint Dennis und beginnt zu erzählen. Er hatte einen festen Job, eine Wohnung, eine Freundin, einen Hund – und schnupfte fast täglich Crystal Meth. Um einschlafen zu können, rauchte er abends selbst angebautes Gras, erzählt Dennis.
Dass er Crystal Meth-abhängig war, bemerkte lange Zeit niemand. Bis sich Dennis bei einem eigentlich harmlosen Unfall die Hüfte auskugelt. Monatelang konnte er nicht arbeiten, verlor seine Stelle im öffentlichen Dienst. Eines Tages stand die Polizei vor der Tür. Dennis und seine Freundin hatten in Tschechien Cannabis-Dünger gekauft. Und wurden dabei beobachtet. „An dem Tag fiel das Kartenhaus in sich zusammen“, erinnert sich Dennis.
Der Richter verurteilte ihn zu drei Monaten Haft. Dennis legte Revision ein: Therapie statt Gefängnis, so lautete der Deal. Seine Stafford-Labrador Mischlingshündin Baylie nahm Dennis mit in die Einrichtung.
Die Entgiftung selbst sei kein Problem gewesen. Drei Tage habe er durchgeschlafen, erzählt Dennis. Sein Bettnachbar war auf Heroinentzug. „Das ist ein schlimmer Entzug.“
Wie wirkt Crystal Meth?
“Methamphetamin gehört zu den Psychostimulantien, einer chemisch heterogenen Gruppe von Medikamenten, die auf das sympathische Nervensystem wirken und zu einer Adrenalin- und Dopaminausschüttung führen.”
Drogen und Suchtbericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung Deutschland, Juni 2016

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Rückfallquote bei Crystal-Meth-Abhängigen
Nach einem halben Jahr Therapie kehrt Dennis wieder zurück in seinen Heimatort, in seine alte Wohnung, zurück zu seinen alten Freunden. Er verlegt im Haus seiner Eltern Fliesen. Anschließend fliest er die Wohnung seiner Schwester. Einen echten Job findet Dennis nicht. Als die Häuser gefliest waren, wird Dennis wieder rückfällig.
Ums ich die teuren Drogen mit seinem schmalen Hartz-IV-Budget leisten zu können reißt er aus alten Buden Kabel raus und verkauft das Kupfer auf dem Wertstoffhof. Manchmal verkauft er auch Drogen. Lebensmittel holt er sich während dieser Zeit bei der Tafel.
„Zwei Schritte vor und 100 zurück“
Sein Bio-Rhythmus gerät völlig außer Kontrolle: Manchmal ist er drei Tage durchgehend wach, danach schläft er tagelang. Dennis Eltern und seine Schwester finanzieren eine Weile seine Sucht mit – unwissentlich.
Die Wohnung von Dennis verwahrlost immer mehr – am Ende betritt er sie nur noch zum Schlafen. Endlich bemerkt seine Familie, dass Dennis wieder drauf ist. Endlich begreift auch Dennis. Heute sagt er: „Zwei Schritte vor und 100 zurück. Etwas aufzubauen ist so schwer, einreißen geht so leicht.”
Für ihn ist klar: Wenn er sich noch einmal eine Langzeittherapie antut, dann muss er weit weg gehen. Ein Sozialprojekt im Allgäu bei einer Bauernfamilie, das würde ihm gefallen. Also lässt Dennis alles hinter sich und landet zunächst im Adaptionsphasenhaus in München. Nach kurzer Zeit beschließt er zu bleiben und nicht in die Berge zu gehen. Der Plan: So lange wie möglich unter Kontrolle sein.
„Das muss einfach klappen“
Aus seinem alten Leben in Sachsen hat er nicht viel mitgenommen: Eine Kiste mit Aktenordnern, eine Collage mit Bildern seiner Familie, ein blauer MP3-Player und Fotos von seiner Mischlingshündin Baylie.
Vor dem Umzug hat er die schwarze Hündin abgegeben. An alte Freunde. „Konsumenten“, ergänzt Dennis. Abstinenz sei eben nicht umsonst, sagt er fast wie zu sich selbst.
Nach fast 16 Jahren mit der Droge will er endlich ein normales Leben anfangen. Ein Hobby haben, einen Job finden. Vielleicht eine nette Frau kennenlernen. Bescheidene Wünsche. Am Abend will Dennis zum ersten Mal eine freiwillige Selbsthilfegruppe besuchen. Leute kennenlernen, die es schon geschafft haben.
Ende des Monats wird Dennis in eine therapeutische Wohngemeinschaft in der Münchner Region ziehen. Seine Mitbewohner hat Dennis noch nicht kennengelernt. Er hofft aber, dass dort jeder auf jeden achtet. Sie sich gegenseitig davon abhalten rückfällig zu werden. Ein wichtiger Schritt in Richtung Selbstständigkeit. „Das muss einfach klappen. Ich kann ja nicht immer in irgendeiner Therapie sein.“
Quellen
Drogen und Suchtbericht 2015, Drogenbeauftrage der Bundesregierung
Titelbild: Wikimedia Commons, Author: Radspunk