Bioplastik und das Geheimnis der Spinnenseide

Plastik ist überall, doch Plastikmüll zerstört unsere Umwelt. Bioplastik soll helfen, dieses Problem zu lösen. Doch der biologische Kunststoff kann viel mehr als Umweltschutz. Selbstauflösende OP-Nähte aus Milchsäure, ein Verband aus Garnelenpanzer, oder neue Knochen mit Spinnenseide aus dem 3D Drucker –  Bioplastik könnte die Medizin revolutionieren.

Ich traf Hannibal an einem Wintertag in München. Er war hässlich, das gebe ich zu. Und groß. Einige Frauen stürzten bei seinem Anblick fluchtartig in Richtung Tür, andere deuteten mit dem Finger auf ihn. Da Hysterie, dort Heldenmut. Dem Seminarleiter gelang es schließlich, ihn mit der Plastikhaube einer CD-Spindel zu überwältigen. Was für ein Ende für eine Spinne – Hannibal wurde zum Sterben in den Schnee geworfen. Seitdem sucht er mich in meinem Träumen heim.

Acht vorwurfsvolle Augen starren mir dann aus der Dunkelheit entgegen. Tut mir leid, Geist-Hannibal, denke ich. Ich mach das wieder gut. Aber das Seminar. Es geht um Plastik. Ja, ich weiß, die Plastikhaube… schweißgebadet wache ich auf.

Als der Morgen graut, bin ich schon seit ein paar Stunden auf Google Scholar unterwegs um die Gedanken an Geist-Hannibal zu verdrängen. Für das Seminar recherchiere ich zu Plastik. Ich lese, dass die über Hannibal gestülpte Plastikhaube wahrscheinlich aus Polycarbonat gemacht wurde. Das klingt nach Chemie.

Doch dann, irgendwann, irgendwo zwischen PVC-Boden und PET-Flaschen (Polyvinylchlorid! Polyethylenterephthalat!) stolpere ich über dieses Wort: Bioplastik. Was? Biologisches Plastik?

Kann Plastik Bio sein? Doch tatsächlich, es kann. Und es gibt genau zwei Möglichkeiten: Bioplastik ist entweder am Anfang oder am Ende seines Lebens biologisch. Beginnen wir am Anfang: Bioplastik der Sorte „bio by nature“ kann aus Mais oder Zuckerrüben, aus Hanf und sogar aus dem Panzer von Garnelen hergestellt werden. Der Renner unter den Biokunststoffen ist dabei bis heute die thermoplastische Stärke aus Kartoffeln, Mais oder Weizen.

In der Industrie werden Biokunststoffe aus Stärke vor allem für Folien, Beschichtungen in Jogurtbechern und Hüllen von Medikamentenkapseln verwendet. Für andere Zwecke kommen sie aber weniger in Frage.

„Shrilk“: Bioplastik aus Garnelen

Nicht nur Pflanzen eignen sich für Biokunststoffe. Forscherinnen und Forscher des Harvard Institute for Biologically Inspired Engineering ist es gelungen, aus dem Chitosan des Panzers von Krabben und Garnelen einen Biokunststoff zu entwickeln, den sie kurzerhand Shrilk (Neologismus aus Shrimps & Silk) getauft haben. Das aus den Krustentieren gewonnene Seidenprotein ist extrem umweltfreundlich: der Forschungsgruppe gelang es, in einem Blumentopf mit kompostiertem Shrilk eine Erbsenplanze zu züchten.

 

Mit chemischen Reaktionen wird aus Erdöl Bioplastik

Doch auch Plastik auf der Basis von Erdöl kann im Labor mit der Fähigkeit zum biologisch abbaubaren Ableben versehen werden. Die entscheidenden chemischen Vorgänge dabei heißen Polymerisation und „Cracken“. Was dabei geschieht, erklärt mir die Chemikerin Christina Bock.

Durch das sogenannte Cracken werden die langkettige Alkane des Erdöls in kurzkettige Alkane gespalten. Dadurch entstehen aus Erdöl die Grundbausteine für alle erdenklichen modernen Produkte wie Kunst- und Farbstoffe oder auch Medikamente.
Plastik und Kunststoff sind allgemein gebräuchliche Bezeichnungen für künstlich synthetisierte Polymere. Polymerisation beschreibt das Verknüpfen von kleinen Untereinheiten zu einem großen Molekül durch eine Vielzahl von aufeinander folgenden chemischen Reaktionen.

Dr. rer. nat. Christina Bock

Chemikerin

Ich stelle mir das ein wenig wie Lego spielen vor. Ich kann große Kunstwerke „cracken“, also auseinandernehmen, und dann die einzelnen Teile in einer anderen Form, die mir gefällt wieder neu zusammensetzen – das wäre dann die Polymerisation. So kann auch abbaubares Bioplastik aus Erdöl hergestellt werden.

Was Bioplastik so unschlagbar gut macht: es kann in der Kompostierungsanlage innerhalb von acht bis zwölf Wochen vollständig abgebaut werden, zumindest wenn man das aufgedruckte Keimling-Logo findet:

Das heißt leider nicht, dass damit das Problem der plastikverseuchten Wälder und Meere gelöst wäre. Denn in der freien Natur baut sich Biokunststoff selten von alleine ab. Manche Plastikarten auf natürlicher Basis sind sogar überhaupt nicht biologisch abbaubar.

Daher gilt: Auch Bioplastiktüten gehören in die Plastiktonne, und nicht auf den Komposthaufen!

Bioplastik hat nicht immer Vorteile für den Umweltschutz, wird mir klar. Biologisch hergestellt heißt nicht unbedingt biologisch abbaubar. Und die Herstellung von Mais, Weizen, Kartoffeln wirkt sich dank Pestiziden auch eher negativ auf die Ökobilanz aus. Ob die Plastikgewinnung mit Garnelen und Krabben den überfischten Meeren entgegenkommt, ist ebenso fraglich. Das ultimative Wundermittel zur Rettung der Welt, der Ozeane oder einiger Leben ist Bioplastik also nicht unbedingt.

 

Bioplastik in der Medizin

Doch es gibt ein Gebiet, in dem die biologische Abbaubarkeit von Kunststoffen noch andere Vorteile hat- und zwar in der Medizin. Ich frage Prof. Endres von der Hochschule Hannover, wie es mit Bioplastik in der Medizin aussieht:

Weltweit werden derzeit etwa 322 Millionen Tonnen Kunststoffe produziert. Für Biokunststoffe bestehen dagegen Anlagenkapazitäten von rund 2 Millionen Tonnen. Am häufigsten findet man hier neben Bio-PE und Bio-PET die Polymilchsäure (PLA). Wir schätzen, dass von letzterer weniger als 8.000 Tonnen für den medizinischen Bereich verwendet werden. Ein Vorteil von Biopolymeren in der Medizin gegenüber konventionellen Kunststoffen kann die biologische Abbaubarkeit und gute Resorbierbarkeit sein, wie zum Beispiel bei Fäden oder Knochenschrauben, die sich selbst auflösen. Der Markt für biobasierte Kunststoffe in der Medizin ist begrenzt. Es finden sich bereits heute mehr als ein Viertel aller Biokunststoffe in anderen Bereichen wie zum Beispiel im Agrar- und Bausektor oder Konsumgütern. Die Märkte für biobasierte Kunststoffe werden auch zukünftig stärker wachsen als der Kunststoffgesamtmarkt.

Prof. Dr.-Ing. Hans-Josef Endres

Werkstoffwissenschaftler, Leiter IfBB – Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe an der Hochschule Hannover

Die Herstellung von PLA ist mikrobiologisch sehr einfach mit Bakterien möglich. Hierfür könnten auch Abfallprodukte der Landwirtschaft verwendet werden, zum Beispiel Blätter und Stängel von Maiskolben. Das vermeidet eine zusätzliche Belastung der Umwelt.

PLA ist zudem leicht biologisch abbaubar – auch im menschlichen Körper. Die Medizin nutzt diese Eigenschaft schon seit einigen Jahren für selbstauflösende Wundnähte oder Knochenplatten und Schrauben. Eine zweite Operation oder das schmerzhafte Fädenziehen bleibt den Patienten erspart.

Inzwischen ist es Mittag und mir fallen die Augen zu. Mein Atem wird schwer und ein wohliger Nebelschleier wandert quer durch meine Gedanken. Ich träume ich läge unter einem Baum. Da kommt ein kleiner Punkt aus den Zweigen immer näher auf mich zu. Es ist Geist-Hannibal, der sich langsam an einem silberhellen Faden zu mir abseilt.
Ich schrecke hoch, nun hellwach. Spinnenfäden… In Terry-Pratchett-Büchern und den Erzählungen meiner Großmutter die medizinische Wunderwaffe von Hexen bei Verletzungen aller Art. Wären das nicht die absolut perfekten Biofäden?

 

Stärker als Stahl, elastischer als Gummi

Der Faden einer Spinne wird auch Spinnenseide genannt. Und nicht nur meine Großmutter und Terry Pratchett kennen Spinnenseide als medizinische Wunderwaffe. Bereits 300 v. Chr. legten die alten Griechen Spinnennetze auf Wunden auf. Spinnenseide ist nicht nur außergewöhnlich stabil und elastisch, sondern auch antientzündlich und antiallergen und – biologisch abbaubar. Dabei hält ein Spinnenfaden mehr Belastung stand als Fäden aus Kevlar, Nylon, Gummi oder sogar Stahl.

Soweit die guten Nachrichten. Warum also haben wir noch keine großen Spinnenfarmen, in denen Tag für Tag Spinnenbauern die kostbare Spinnenseide von tausenden kleinen Hannibals gewinnen und der Industrie zur Verfügung stellen?

Von Kannibalen und Spinnen-DNA in Ziegen

Nicht nur die alten Griechen, auch die moderne Bionik, eine neue Forschungsrichtung zwischen Biologie und Technik, steht dabei vor einem Problem. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Nutztieren ist es leider nicht möglich, Spinnen in großen Farmen zu halten. Spinnen sind Kannibalen. Werden sie in größeren Gruppen zusammengebracht, so fressen sie sich gegenseitig auf. Nur sehr wenige Spinnenarten sind soziale Tiere. Hinzu kommt, dass Spinnen in Gefangenschaft weniger Spinnenseide produzieren.

Forscher sind dabei im Laufe der Jahre auf erstaunliche Ideen gekommen, wie man die Spinnenseide künstlich produzieren könnte. So wurden Versuche unternommen, Erbinformationen der Spinnenseide in Bakterien und schließlich sogar in Ziegen einzubauen. Durch Spinnen-DNA in Ziegenmilch könnte die Spinnenseide gewissermaßen gemolken werden. Doch nicht alle dieser Versuche waren erfolgreich.

Biofabrikation: Spinnenseide mit lebenden Zellen im 3D-Drucker

Thomas Scheibel vom Lehrstuhl Biomaterialien der Universität Bayreuth hat es geschafft, das Geheimnis der Spinnenseide zu lüften. Es gelang dem Forscher, die Spinnenseidenproteine der heimischen Gartenkreuzspinne zu gewinnen. Sie konnten durch Modifikation in E-coli-Bakterien eingesetzt werden, die nun die Seidenproteine produzieren. Da sie nicht nur als Fäden, sondern auch als Pulver vorliegen, können sie genau wie andere Biokunststoffe in jede erdenkliche Form gebracht werden.

In dem Video erzählt Prof. Scheibel über seine Arbeit.

Dem Team um Prof. Scheibel ist inzwischen die Herstellung einer Biotinte aus den Spinnenseidenproteinen gelungen. Diese kann in einem 3D-Drucker zusammen mit lebenden Zellen zu gewebeähnlichen Strukturen verarbeitet werden. Die bioverträglichen Eigenschaften der Spinnenseide helfen dabei, dass die lebende Zellen auch lebendig bleiben- sie lösen nämlich keine Immunreaktion aus.

Eine neue Hand aus Spinnenseide?

Ich kann es kaum glauben. Sollten die guten alten Spinnweben tatsächlich Patienten zu neuen Körperteilen aus lebenden Zellen verhelfen können? Könnte verbrannte Haut einfach neu ausgedruckt werden? Oder gar ein neues Herz oder eine neue Hand? Ich frage Prof. Scheibel.

„Nein, das ist nicht realistisch, denn dazu werden Knochen, Sehnen, Haut, Nervengewebe und so weiter benötigt. Dies ist unmöglich in einem Produktionsschritt zu erledigen. Man kann entweder Knochen oder Nerven oder Haut herstellen, aber niemals alles gleichzeitig.“

Prof. Dr. Thomas Scheibel

Lehrstuhl für Biomaterialien, Universität Bayreuth

Selbst wenn das vollständige Ausdrucken eines funktionsfähigen Körperteils eher Science-Fiction ist, bin ich dennoch beeindruckt. Denn die Einzelteile aus dem 3D-Drucker erhalten, also Knochen, Nerven, Haut aus Spinnenseide- das ist kein Sci-Fi sondern tatsächlich möglich.

 

Hannibal, denke ich, wer hätte das gedacht! Deine Spinnenseide als Bioplastik, aus der wir lebendes menschliches Gewebe drucken können. Und so vielen Patienten zu neuer Haut, neuen Nerven oder Knochen verhelfen werden. Ich denke jetzt anders über Spinnen. Und ich verspreche, ich werde allen davon erzählen. Also keine weiteren Besuche heute Nacht, okay?

„Die Spinne scheint ein uns Menschen überlegenes Wesen zu sein, da wir ihr so eine irrationale Angst entgegenbringen.“

(Michael Josef Sommer)

 

Spinnenfotos: Dagmar Heimbach
Foto von Prof. Endres: China Hopson
Header & Fotos: Pixabay
Logo Keimling: VerbraucherService Bayern

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